Als posturale Kontrolle wird die Fähigkeit eines Menschen verstanden, entgegen der Schwerkraft eine aufrechte Körperhaltung beizubehalten bzw. diese nach Störungen des Gleichgewichts wiederherzustellen (Stützmotorik bzw. Gleichgewichtsregulation). Als motorische Kontrolle bezeichnet man hingegen die Fähigkeit Bewegungen zu planen, zu koordinieren und durchzuführen (Zielmotorik).
In folgenden Ausbildungen gehen wir tiefer darauf ein:
In alltäglichen und sportspezifischen Fortbewegungen besteht ein Wechselspiel zwischen der Gleichgewichtsregulation und der Zielmotorik. Die Koordination zwischen Gleichgewichtsregulation und motorischer Bewegung stellt einen komplexen Handlungsprozess dar. Durch eine Bewegung der Körperglieder oder durch menschliche Lokomotion ändert sich die Lage des Körperschwerpunktes. Dadurch muss das Gleichgewicht nachreguliert werden, bzw. müssen aus den zentral entworfenen Bewegungsplänen Regulationsmechanismen antizipatorisch eingeleitet werden um Störungen des Gleichgewichts auszugleichen (Massion et al. 2004). Die motorische Kontrolle des Menschen besteht demnach aus der Kopplung von Feed-Forward und Feedback-Mechanismen. Es wird vermutet, dass vor allem die antizipatorische Gleichgewichtsregulation durch Bewegungserfahrung und die dadurch hervorgerufenen Lernprozesse im plastischen Nervensystem durch Training beeinflusst werden können (Lalonde & Strazielle 2007, Moss & Milton 2004). Beide Kompetenzen werden maßgeblich von sensorischen Einflüssen geprägt. Einflussnehmend auf die posturale und motorische Kontrolle sind dabei Afferenzen von taktilen, vestibulären, visuellen und propriozeptiven Analysatoren. Letztendlich resultieren Reaktions- und Bewegungsmuster des menschlichen Organismus aus der Verarbeitung der aus der Peripherie stammenden Informationen (Massion 1998).
Sowohl in der Prävention, der Sportrehabilitation als auch im Leistungssport ist das sensomotorische Training in den letzten Jahren in den Fokus gerückt. Unter Ausnutzung der Plastizität des Nervensystems werden durch sportliches Training motorische Lernprozesse hervorgerufen (Doyon & Benali 2005). Diese äußern sich auf Ebene der motorischen Kontrolle als eine Verbesserung der Technik, der Qualität der Bewegungsausführung bzw. durch eine höhere Bewegungsökonomie. Durch Verbesserungen in der posturalen Kontrolle, konnten nicht nur sturz– und verletzungsprophylaktische Effekte erzielt werden (Priplata et al. 2003); es wurde darüber hinaus der potenziell leistungssteigernde Effekt durch ein solches Training erkannt.
Folglich kann konstatiert werden, dass sowohl die posturale als auch die motorische Kontrolle bedeutsame Fähigkeiten aus gesundheitlicher und aus leistungsbezogener Sicht sind. Die strikte Zuordnung der Stützmotorik (Gleichgewicht, posturale Kontrolle) zum extrapyramidalen System und die Zielmotorik (motorische Kontrolle) zum pyramidalen System gilt als überholt, da sich beide Strukturen identischer sensorischer Einflüsse und Bausteine des zentralen Nervensystems bedienen (Brooks & Downey 1971). Dennoch stellt die Verbindung der posturalen und motorischen Kontrolle ein bislang unzureichend erforschtes Feld dar. Bisherige neurophysiologische Untersuchungen konnten zeigen, dass spezifische Trainingsreize spezifische Anpassungsreaktionen nach sich ziehen (Schubert et al. 2008). Trotz einer engen Verbindung zwischen der posturalen und motorischen Kontrolle, lässt die kontextsensitive Adaptation des menschlichen Organismus den Schluss von der Verbesserung eines Parameters auf eine gleichzeitige Verbesserung des anderen Faktors nicht zu.
Brooks VB & Stoney SD (1971). Motor Mechanisms: The Role of the Pyramidal System in Motor Control. Annual Review of Physiology, 33: 337-388.
Doyon J & Benali H (2005). Reorganization and plasticity in the adult brain during learning of motor skills. Current Opinion in Neurobiology, 15,161–167.
Lalonde R & Strazielle C (2007). Brain regions and genes affecting postural control. Progress in neurobiology, 81, 45–60.
Massion J (1998). Postural control systems in developmental perspective. Neurosci Biobehav Rev, 22, 465-472.
Massion M, Alexandrov A & Frolov A (2004). Why and how are posture and movement coordinated? Progress in Brain Research, 143, 13-27.
Moss F & Milton JG (2003). Medical technology: Balancing the unbalanced. Nature, 425, 911-912.
Priplata AA, Niemi JB, Harry JD, Lipsitz LA & Collins JJ (2003). Vibrating insoles and balance control in elderly people. The Lancet, 362, 1123-1124.
Schubert M, Beck S, Taube W, Faist M & Gruber M (2008). Balance training and ballistic strength training are associated with task-specific corticospinal adaptations. Eur J Neuroscience, 27, 2007–2018.