Aus der Ökonomie ist bekannt, dass die Regulierung zwischen vorhandenen Mitteln (Geld) und erhaltener Leistung immer stattfindet. Diese Anpassung wird durch den Ausgleich von Angebot und Nachfrage erzielt, welcher sich über den Marktmechanismus einstellt (vgl. Obermann, 1994, S. 110). Hat ein Verbraucher eine bestimmte Einheit an Geld zur Verfügung, kann er über diese verfügen. Jedoch nicht darüber hinaus. Dieser ökonomische Marktmechanismus funktioniert im deutschen Gesundheitswesen allerdings nicht per Individuum. Die individuelle Beitragszahlung bestimmt sich lediglich aus einem Prozentsatz des Einkommens. Das Gesundheitssystem wird somit einkommensabhängig vom Arbeitnehmerlohn sowie der Arbeitgeberanteile finanziert und durch den Bund bezuschusst. Aus diesem Grund zahlt kein Empfänger von Gesundheitsleistungen seinen kostendeckenden Beitrag.
Dadurch, dass die Behandlungskosten nicht leistungsabhängig von der Privatperson zu begleichen sind, kommt es bei der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen häufig zu Moral Hazard. Es kann zwischen ex-ante Moral Hazard und ex-post Moral Hazard unterschieden werden. Ex-ante Moral Hazard beschreibt den Vorgang, dass Handlung und Haftung nicht korrelieren. Ein Individuum kann aufgrund dessen zu einem risikoreichen Verhalten neigen. Von ex-post Moral Hazard spricht man, wenn die Kosten für medizinische Leistung durch den Versicherungsschutz gedeckt sind und somit kein finanzielles Risiko für den Leistungsempfänger entsteht. Ein Individuum kann deshalb zu einer gesteigerten Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen neigen. Beides hat eine verzichtbare Erhöhung der Gesundheitsausgaben zur Folge.
Möglichkeiten, dieser Ineffizienz im Gesundheitswesen entgegenzuwirken, bieten sich im Mittel der Rationierung, Rationalisierung und Priorisierung von Gesundheitsleistungen. Zu häufig werden diese Begriffe allerdings synonym verwendet, sodass es zu Missverständnissen bei der Verwendung kommen kann. Es erfolgt nun eine differenzierte Erläuterung und Abgrenzung dieser Begriffe.
In folgenden Ausbildungen gehen wir tiefer darauf ein:
Wird von Rationierung gesprochen, handelt es sich dabei meistens um eine negative Konnotation des Wortes. „Aufgrund von Mittelknappheit unterbleiben notwendige medizinische Maßnahmen“ (Honecker, 2004, S. 630). In Zusammenhang mit Gesundheitsleistungen gehe dieser Begriff häufig mit dem Vorenthalten von notwendigen Gütern und Dienstleistungen einher. Um eine allgemeingültige Definition zu benennen, sollte der Begriff neutral und mit Berücksichtigung der ökonomischen Sichtweise betrachtet werden (vgl. Marckmann; 2008, S. 891). Elke Mack (2001, S. 20) definiert Rationierung in einem Ethikmagazin folgendermaßen:
Rationierung im Gesundheitswesen ist die Zuteilung bzw. die Verteilung von knappen und begrenzt vorhandenen Gesundheitsgütern ebenso wie pflegerische oder medizinische Maßnahmen unter der Bedingung, dass die Nachfrage größer als das Angebot ist.
Rationierung scheint notwendig um „die Diskrepanz zwischen dem medizinisch prinzipiell Machbaren und dem solidarisch Finanzierbaren“ (Obermann, 1999, S. 111) zu ermitteln. Dabei geht es nicht darum, Leistungen wahllos zu begrenzen, sondern die Funktionstüchtigkeit des solidarischen Systems aufrecht zu erhalten. Allerdings bedingen sich diese beiden Ansätze. Leistungen müssen eingeschränkt werden, um die Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems zu gewährleisten.
Der US-amerikanische Gesundheitsökonom Victor Fuchs sagte dazu: „No nation can provide ‘presidential medicine‘ for all its citizens“ (Fuchs, 1997, S. 461). Das Zitat verdeutlicht die Ausgangssituation eines Staates. Ohne Eigenleistung zur Gesunderhaltung und Zuzahlungen bei Inanspruchnahme von Leistungen kann ein Gesundheitssystem nicht dauerhaft funktionieren.
Es stellt sich die Frage, welche Maßnahmen von der Solidargemeinschaft finanziert werden sollen und können (vgl. Honecker, 2004, S. 630). Deutschland sei dabei von einer öffentlichen Diskussion über das Thema Rationierung noch weit entfernt (vgl. Marckmann, 2010b, S. 9). Die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat sich im Mai 2005 wie folgt geäußert: „Eine explizite Rationierung in dem Sinne, dass medizinisch notwenige und sinnvolle Leistungen vorenthalten werden, wird es mit mir nicht geben“ (Jachertz, Rieser, 2007, S. 21). Weiter sagt sie: „Wenn wir wollen, dass medizinischer Fortschritt für alle in Zukunft finanzierbar ist, dann müssen wir auch den Mut haben zu sagen: Nicht alles kann und muss überall zur Verfügung stehen“ (Jachertz, Rieser, 2007, S. 21). Die Politik scheut sich noch davor, Leistungen zu begrenzen bzw. eine öffentliche Verfügbarkeitsdebatte zu führen. Allerdings räumt sie mit der letzten Aussage ein, dass für die Zukunft eine Form von Rationierung berücksichtigt werden müsse. Indem sie diese vage Aussage verwendet, äußert sie sich nicht konkret. Momentan wird die Entscheidungskompetenz noch ausschließlich an den leistungserbringenden Arzt weitergegeben, welcher implizit (verdeckt) über die Notwendigkeit von Behandlungen entscheiden sollen (vgl. Udsching, 2013, S. 62).
Bisher gehe es in der Gesellschaft eher darum, die Gesundheitsleistungen weiter auszubauen und mit Hilfe des medizinisch-technischen Fortschritts die neusten Behandlungsmöglichkeiten bereitzustellen (vgl. Udsching, 2013, S. 62). Die Einschränkung von Leistungen in Form von Rationierung stelle für viele eine Bedrohung für die Gesellschaft dar. Wird doch die Gesundheit als teuerstes Gut verstanden. (vgl. Boldt, Schöllhorn, 2008, S. 995)
Ein klarer Bedarf an Einsparungen im Gesundheitswesen entsteht vor allem aus der demographischen Entwicklung (vgl. Obermann, 1999, S. 111) und den medizinisch-technischen Veränderungen. Die Gesellschaft kann durch diese Veränderungen und bei weiterhin steigender Nachfrage nicht alle medizinischen Leistungen solidarisch finanzieren. Es scheint nötig, explizite Entscheidungen zur Finanzierbarkeit in der Gesellschaft zu treffen (vgl. Duttge, 2009, S. 140).
Eine Hürde der Rationierung besteht momentan darin, dass es zu wenig wissenschaftliche Evidenz über den Nutzen von Maßnahmen gibt, mit welchen die Sinnhaftigkeit und Qualität von Maßnahmen beurteilt werden kann (vgl. Jachertz, Rieser, 2007, S. 25). Denn Rationierung funktioniert dann, wenn ein Weg gefunden wird, Krankheiten zu spezifizieren, den Behandlungsbedarf zu ermitteln und die Therapien mit wissenschaftlichen Ergebnissen zum Nutzen zu bewerten.
Weiter gilt es als wichtig, die Begriffsdefinition eindeutig zu klären. Nach Marckmann (2008, S. 891) soll über die Verwendung des Synonyms Zuteilung nachgedacht werden, da es nicht um die Wegnahme von Leistungen geht, sondern um eine effizientere Verteilung.
Anschließend müsse die Gesellschaft einen Konsens finden, aus dem klar hervorgeht, nach welchen Kriterien und auf welcher Zuteilungsebene eine Indikationszuteilung getroffen werde und welche Leistungen übernommen werden und welche nicht. Bei der Festlegung der Richtlinien sei es angeraten ökonomische Werte, sowie therapeutische Effekte und ethische Kriterien zu berücksichtigen (vgl. Honecker, 2004, S 635). Dabei kann Rationierung zum generellen Ausschluss oder zur Einschränkung im Leistungsbezug führen (vgl. Preusker, 2007, S. 930).
Die Zuteilung von Gesundheitsleistung ist auf drei Ebenen möglich. Im Folgenden werden die Makro-, Meso- und Mikroebene erläutert und Handlungs-/ bzw. Verantwortungsvarianten dargestellt. Die Ebenen beeinflussen sich untereinander.
Die Makroebene ist die oberste Ebene, welche Einfluss auf die Verteilungsentscheidungen der Meso- und Mikroebene hat. Wird die Verteilung auf der Mesoebene bestimmt, beeinflusst dies den Handlungsspielraum auf der Mikroebene.
Die Makroebene wird durch die Politik bzw. Gesellschaft gebildet. Hier werden die Gesamtausgaben festgelegt und die Verteilung der Finanzen auf die einzelnen Bereiche im Gesundheitswesen bestimmt. Dabei werden vor allem die Anteile bestimmt, welche die Leistungserbringer erhalten werden. (vgl. Honecker, 2004, S. 631) Der Fokus liegt dabei auf der Sicherstellung des Solidarprinzips, sowie der Qualitätssicherung und Gleichstellung. Als Steuerungselemente gelten vor allem Gesetze und Vereinbarungen. (vgl. Offermanns, 2011, S. 20)
Geschehe Rationierung auf dieser Ebene, spricht man von expliziter Rationierung. Die Gesellschaft bzw. Politik gibt in Leitlinien bekannt, welche Leistungen finanziert werden und welche nicht. (vgl. Jachertz, Rieser, 2007, S. 22 f.)
Die Mesoebene ist die mittlere Ebene, welche die Organisationen und Leistungserbringer im Gesundheitswesen erfasst (vgl. Offermanns, 2011, S. 20). Eine Institution, wie z.B. ein Krankenhaus, kann nun darüber entscheiden, wie sie die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel einsetzen möchte. Im Fokus steht dabei die Steigerung der Effektivität und Mitarbeiter- sowie Prozessorientierung welche durch Managementinstrumente gesteuert werden. (vgl. Offermanns, 2011, S. 20) Es können Prioritäten gesetzt werden und Schwerpunkte für die Forschung geschaffen werden (vgl. Honecker, 2004, S. 631).
Die Mikroebene beschäftigt sich mit der Individualversorgung. Hier ist der Arzt-Patienten-Kontakt in der Praxis oder am Krankenbett zu nennen. (vgl. Jachertz, Rieser, 2007, S. 23) Die Verteilung auf dieser Ebene verläuft patienten- und effizienzorientiert. Als Steuerungsinstrumente gelten vor allem Leitlinien und klinische Pfade. (vgl. Offermanns, 2011, S. 20)
Spricht man von Rationalisierung sei damit die „Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven oder auch die Vermeidung von Verschwendung zum Erhalt von Ressourcen“ (Gretenkort, 2015, S. 610) gemeint. Die zentralen Punkte sind die gerechte Verteilung von Ressourcen sowie die Verbesserung der Versorgungsqualität unter effizienter Allokation der vorhandenen Mittel (vgl. Gretenkort, 2015, S. 610). Dies soll erreicht werden, indem z.B. Doppeluntersuchungen vermieden werden (vgl. Nagel et al., 1997, S. 628) oder die Anzahl von Krankenhausbetten optimiert werden. Unter Anwendung von Rationalisierung wird keine medizinisch notwenige Leistung vorenthalten, was diese Maßnahme weniger hart erscheinen lässt als die Rationierung.
Da es sich bei Rationalisierung um eine Effizienzsteigerung sowie Allokationsverbesserung handelt, geschieht dies unter ökonomischen Gesichtspunkten. Zur Ermittlung von Effizienzlücken werden Instrumente wie die Kosten-Nutzen-Rechnung und Budgetierung genutzt.
Dabei muss es als kritisch betrachtet werden, dass das Mittel der Rationalisierung endlich scheint. Es wird ein Maß erreicht, nach dem keine weitere Effizienzsteigerung oder verbesserte Ressourcenallokation möglich ist, da die Wirtschaftlichkeitsreserven ausgeschöpft sind. Dieses Mittel sei somit lediglich für einen kurz- bis mittelfristigen Zeitraum zu verwenden, da das Einsparungspotential der Rationalisierung begrenzt sei. (vgl. Honecker, 2004, S. 629; vgl. Marckmann, 2008, S. 890)
Zudem muss weiter kritisch angemerkt werden, dass auch die Reduzierung von Krankenhausbetten und Pflegepersonal ein Vorenthalten von Leistung ist. Es handele sich dabei also auch um eine Form der Rationierung, da dadurch auf eine Inanspruchnahme von Leistungen verzichtet werden müsse. (vgl. Schultheiss, 2001, S. 2).
Priorisierung wird von dem Wort Priorität abgeleitet und bedeutet, dass Schwerpunkte erstellt werden, welche in eine Rangfolge gesetzt werden. Grundlage für den Gebrauch dieser Maßnahme ist die Knappheit eines Gutes. Dabei werde zwischen horizontaler und vertikaler Priorisierung unterschieden. Bei der horizontalen Priorisierung handelt es sich um die Rangfolgensetzung auf Anwendungsebenen, z.B. zwischen Leistungserbringern. Von der vertikalen Priorisierung wird gesprochen, wenn die Anwendung in einem definierten Versorgungsbereich stattfindet, also z.B. bei einer Entscheidung zwischen Patienten mit ähnlichen Indikationen. (vgl. Diederich et al, 2011, S. 143)
In der Medizin findet die Priorisierung z.B. Anwendung im Rahmen von Organspenderlisten oder der Vergabe von begrenzten Impfstoffen (vgl. Welti, 2010, S. 381). Laut dem §10 TPG sind Transplantationszentren dazu verpflichtet, Wartelisten zu führen, um eine nach Kriterien festgelegte Verteilung einhalten zu können. Diese gesetzliche Regelung untermauere die Notwendigkeit von Priorisierung in medizinischen Teilgebieten. In §12 TPG wird die Regelung weiter ausgeführt. Dort heißt es, dass die Stiftung Eurotransplant die Vermittlungstätigkeit der Spenderorgane übernimmt. (vgl. Giesen, 2004, S. 561) Damit soll der richtige Umgang mit einem begrenzten medizinischen Gut garantiert werden. Deshalb ist ein Handel außerhalb der Organisation Eurotransplant unzulässig und verboten (vgl. §17 TPG). Die Zuteilung ist explizit geregelt und die Informationen zur Verteilung sind für jede Person zugänglich. Aus diesem Grund ist sie eher nachvollziehbarer, was diese Art der Zuteilung zu einem beliebten Mittel macht.
Priorisierung werde auch deswegen weniger negativ angesehen, da es sich nicht um einen Ausschluss von Gesundheitsleistungen handele, sondern lediglich um das in Reihenfolge setzen der Zeitpunkte zur Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen (vgl. Breyer, 2012, S. 654; vgl. Honecker, 2004, S. 629).
So ist in der Influenzaschutzimpfung-Verordnung geregelt, dass Personen mit besonderen Risikofaktoren wie chronisch Kranke und Schwangere sowie Personen im Gesundheitswesen, bei der Vollzugspolizei und bei der Feuerwehr vorrangig zu impfen sind. (Welti, 2010, S. 381)
Werden die Informationen bezüglich der Priorisierung offen ausgesprochen, erhöht es das Verständnis für die bevorzugte Verteilung an Risikogruppen. Es kann nachvollzogen werden, warum Menschen aus den genannten Bedarfsgruppen einen bevorzugten Zugang zu dieser Gesundheitsleistung erhalten sollen.
Bei der Nutzung von Priorisierung ist eine gerechte Prioritätensetzung ausschlaggebend. Es muss vor allem bedarfsbezogen vorgegangen werden. Dabei kann nach folgenden Kriterien unterschieden werden: medizinische Bedürftigkeit (Schweregrad, Dringlichkeit), erwarteter medizinischer Nutzen (Potenziale, Wirksamkeit, Studien) und Kosteneffektivität (Kosten-Nutzen-Verhältnis, Zugewinn von Lebenszeit und –qualität, Ausschluss von schlechten Alternativen). (vgl. Gretenkort, 2015, S. 2)
Indem die Begriffe Rationierung, Rationalisierung und Priorisierung erläutert wurden, konnten zugleich Methoden dargestellt werden, mit denen die Kosten der Ausgabenseite im Gesundheitswesen reduziert werden können. Im Hinblick auf den Titel der Arbeit soll der Fokus im Folgenden auf Rationierung liegen und deren Kostensenkungsmöglichkeiten im Gesundheitswesen aus ethischer und rechtlicher Sicht diskutiert werden.
Dieser Artikel ist ein Auszug einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit mit dem Titel: „Rationierung im Gesundheitswesen – Ein Vergleich zwischen impliziter und expliziter Rationierung“ - Autor: Dörte Ciesla
Die gesamte Arbeit inklusive des Quellenverzeichnisses finden Sie hier.